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Wandel in der Berliner Clubszene: Aus dem Anomalie Art Club wird DSTRKT Wandel in der Berliner Clubszene: Aus dem Anomalie Art Club wird DSTRKT

Wandel in der Berliner Clubszene: Aus dem Anomalie Art Club wird DSTRKT

Berlin – In der pulsierenden Nachtlandschaft der Hauptstadt bahnt sich ein bemerkenswerter Wandel an. Einer der bekanntesten Underground-Clubs Berlins, der Anomalie Art Club, schließt nach über einem Jahrzehnt seine Tore – doch anstatt für immer zu verschwinden, wird er unter neuem Namen und Management wiederauferstehen. Hinter der Transformation steht kein Geringerer als das Team des HIVE Festival, das den Club übernimmt und als DSTRKT neu eröffnet. Diese Übernahme sorgt gleichermaßen für Vorfreude und Skepsis in der Szene und wirft ein Schlaglicht auf größere Veränderungen in der Berliner Clubkultur.

Der Anomalie Art Club: Von der Kunst-Oase zum Underground-Hotspot

Der Innenraum des Anomalie Art Club nach dem Umbau 2017 – eine industrielle Halle, die als kreative Spielwiese für Kunst und Techno diente. Unter der Leitung des Kollektivs Stay Free wurde hier eine unverwechselbare Basis für Künstler und Subkultur geschaffen.

Der Anomalie Art Club an der Storkower Straße – unweit des ehemaligen Clubs Mensch Meier – galt seit seiner Eröffnung 2017 als einzigartige Fusion aus Kunstgalerie und Techno-Club. Betrieben vom Stay Free Partykollektiv, bot die Anomalie eine Plattform für Kunstschaffende und Rave-Enthusiasten gleichermaßen. Die Räume wurden von der Architekturfirma Room Division in eine industrielle Spielwiese verwandelt, die rauen Charme mit kreativem Design verband. Über viele Jahre hinweg prägte der Club die Szene, bevor finanzielle Probleme und interne Veränderungen das Projekt ins Wanken brachten – die beiden Gründer-Brüder Jeremy Alexis und Jesse Ludovic Ajwani stiegen 2021 aus dem Betrieb aus.

Im April 2025 dann der Paukenschlag: Nach 12 Jahren „unvergesslicher Nächte und roher Energie“ sei es Zeit, Adieu zu sagen, verkündete das Anomalie-Team in einem Abschiedspost auf Instagram. Die Nachricht vom Aus des Anomalie Art Club traf die Community hart. Doch zugleich machte der Post Hoffnung auf einen Neuanfang: „Die Hive Festival Crew übernimmt, die Venue wird umgebaut, roh und bereit für den Aufprall“, hieß es weiter. Anomalie als Name und unabhängiger Club ist Geschichte – doch das physische Gelände soll mit neuem Konzept weiterleben, anstatt wie so viele andere Clubs gänzlich von der Bildfläche zu verschwinden. Angesichts der jüngsten Clubschließungen in Berlin (erst 2022 musste der benachbarte Mensch Meier schließen, dessen Nachfolger ABSTRAKT ebenfalls nur kurz existierte) werteten viele es als gutes Zeichen, dass die Location an der Storkower Straße nicht verloren geht.

Das HIVE Festival: Vom Rave-Event zum Clubbetreiber

Hinter dem angekündigten Neuanfang steht das HIVE Festival – ein Veranstalter, der sich in den letzten Jahren mit riesigen Hard-Techno-Raves einen Namen gemacht hat. Das in Berlin ansässige Team richtet nicht nur regelmäßig harsche Techno-Events in der Hauptstadt aus, sondern veranstaltet auch ein gleichnamiges Festival in Gräfenhainichen (Sachsen), das jährlich Tausende Besucher anlockt. HIVE debütierte 2021 mit spektakulären Events, unter anderem auf dem ehemaligen MELT-Gelände in Ferropolis. Dabei machte das Festival Schlagzeilen mit einem Konzept, das Social-Media-Ästhetik und ravende Jugendkultur vereinte – auf den Bühnen wurde das zelebriert, was zuvor auf TikTok viral ging: brachialer Böller-Techno, extravagante Tanzmoves und ein ekstatisches junges Publikum, das kaum mehr an die klassischen Clubgänger erinnerte. Die Macher von HIVE verstanden es, die post-pandemische Euphorie in ein bombastisches Event-Erlebnis zu gießen, bei dem visuelle Inszenierung und Partyexzess Hand in Hand gehen.

Als profitorientiertes Event-Unternehmen mit Fokus auf Wachstum und Markenbildung verfolgt HIVE einen klar kuratierten Stil: Hauptsache, es entstehen eindrucksvolle Bilder und Stories fürs digitale Publikum. „Insta-ready“ lautet die Devise – der Rave als perfekt inszeniertes Event, das sich in sozialen Medien vermarkten lässt. Diese Herangehensweise hat HIVE groß gemacht. Nun wagt das Festival-Kollektiv den nächsten Schritt und übernimmt mit der Anomalie erstmals einen festen Club in Berlin – nicht nur als gelegentlicher Veranstalter, sondern mit direktem Einfluss auf Booking, Branding und Organisation. Damit holt sich HIVE einen dauerhaften Standort in der Techno-Metropole und verwandelt den Club in einen „verlängerten Arm“ des Festivalprodukts. Bereits in den Monaten vor der offiziellen Übernahme hatte HIVE mehrfach Partys in der Anomalie gehostet, nun folgt der endgültige Schritt: Aus Anomalie wird DSTRKT.

DSTRKT: Neuer Name, neues Konzept, bekannte Härte

Unter dem Namen DSTRKT Berlin verspricht das HIVE-Team einen umfassenden Neustart mit frischem Konzept – allerdings ohne die Wurzeln im harten Techno zu kappen. Die Umbauarbeiten laufen bereits auf Hochtouren: „Die Venue wird umgebaut – raw and ready for impact“, so die Ansage im Anomalie-Abschiedspost. Der neue Club möchte die “Schnittstelle zwischen roher Berliner Underground-Energie und innovativen Event-Formaten” sein. Konkret sind folgende Veränderungen geplant:

  • Neue Infrastruktur: Mehr Toiletten und erweiterte Chill-out-Bereiche sollen den Gästen mehr Komfort bieten und auf Kritik an der bisherigen Ausstattung reagieren.
  • Boiler-Room-Stage: Das DJ-Pult rückt ins Zentrum, umgeben vom Publikum – ein 360°-Bühnenkonzept, das an die berühmten Boiler Room Sets erinnert. Dieses „Stage-Setup“ soll intime Nähe zwischen DJs und Crowd ermöglichen, gleichzeitig aber gezielt für mitreißende Videoaufnahmen inszeniert sein.
  • Musikalische Ausrichtung: DSTRKT bleibt der harten Gangart treu. Schon zum Soft-Opening über Ostern donnerten dort Kickdrums, und für die kommenden Wochen sind internationale Hardcore- und Hardtechno-Acts angekündigt. Gleich am 10. Mai soll etwa Angerfist, einer der größten Namen der Hardcore-Techno-Szene, die neuen Mauern zum Beben bringen. Weitere Booking-Namen wie Gabber Eleganza, Afem Syko oder DJ Sweedee unterstreichen die programmatische Linie.

Die Macher betonen, dass es sich „nicht um ein Comeback, sondern um einen neuen Anfang“ handelt. Man habe seit einem ersten Event zu Silvester (“NYE debut”) bereits spürbare Änderungen umgesetzt und werde den Club „Step by step auf ein neues Level heben“, ohne Halt zu machen. DSTRKT soll kein einmaliges Projekt sein, sondern sich als Marke in der Berliner Nachtlandschaft etablieren. Die Handschrift von HIVE ist dabei unübersehbar: Großformatige LED-Panels, hochkarätige Audio-Systeme und ein durchgestyltes Branding dürften zum Paket gehören, um den Spagat zwischen Underground-Vibe und Festival-Glanz zu schaffen. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, wie viel von der ursprünglichen Anomalie-DNA im DSTRKT weiterlebt – oder ob hier ein völlig neues Kapitel aufgeschlagen wird.

Reaktionen aus der Szene: Euphorie und Unbehagen

Die Nachricht vom Ende der Anomalie und der Übernahme durch HIVE hat in der Berliner Clubszene ein Echo zwischen Zustimmung und Kritik ausgelöst. Auf der einen Seite steht Erleichterung, dass ein weiterer Club nicht komplett verschwindet, sondern in neuer Form weiterexistiert. Viele sehen es positiv, dass die Location an der Storkower Straße aktiv bleibt, zumal mit Mensch Meier kürzlich ein anderer beliebter Club der Gegend schließen musste. Die Investitionen des HIVE-Teams – von technischen Upgrades bis zu international bekannten Bookings – wecken Neugier und Hoffnung, dass hier ein neuer Anziehungspunkt für die Hard-Techno-Community entsteht. „Lieber ein kommerzieller Neustart als gar kein Club“, meinen einige, die das Fortbestehen des Standorts begrüßen.

Gleichzeitig melden sich jedoch kritische Stimmen zu Wort, die den Deal deutlich skeptischer sehen. In Social Media und Branchen-Magazinen wird diskutiert, ob mit HIVE ein Stück authentische Underground-Kultur verloren geht. Das Groove Magazin etwa ordnet die Übernahme als Symptom einer größeren Entwicklung ein: „Wo früher lokale Crews den Ton angaben, übernehmen heute Eventagenturen mit ausgefeilten PR-Konzepten“, schreibt Autor Christoph Benkeser und beschreibt den Wandel vom autonomen Club zum Marken-Ableger eines Festivalunternehmens. Viele befürchten, dass im DSTRKT fortan „TikTok-Techno“ regieren könnte – also ein Sound und Publikum, der primär auf schnelle Online-Gefälligkeit ausgerichtet ist. Anstelle eines DIY-Kollektivs ziehe nun ein kommerzieller Eventveranstalter die Strippen, was zwangsläufig eine andere Prioritätensetzung bedeute.

Auch die versprochene Boiler-Room-Bühne wird ambivalent gesehen: Einerseits könnte sie für aufregende Nächte und virale Video-Momente sorgen, andererseits steht sie sinnbildlich für die Content-Kultur der neuen Clubgeneration. „Es geht nicht darum, wie gefeiert wird, sondern **wie es aussieht“, kommentiert Groove weiter – der Clubraum werde zum „Content-Container“, in dem die Kameraperspektive mitfeiert. Traditionalist:innen der Szene sorgen sich, dass im Fokus auf Inszenierung die Spontaneität und Experimentierfreude auf der Strecke bleiben könnten. So lautet der Tenor: Ja, Berlin bekommt einen neuen Club – aber vielleicht geht dabei auch etwas verloren, nämlich ein Stück der ungeschliffenen, unberechenbaren Clubkultur, die die Stadt einst ausmachte.

Professionalisierung vs. Subkultur: Einordnung des Wandels

Die Metamorphose des Anomalie Art Club zum DSTRKT steht exemplarisch für einen Trend in Berlins Clubkultur. Immer öfter treten große Veranstalter oder Investoren auf den Plan, um traditionelle Clubs zu übernehmen und in ein neues Gewand zu kleiden. Es ist ein Spagat zwischen Professionalisierung und Subkultur: Einerseits bringen Akteure wie HIVE frisches Kapital, professionelle Strukturen und globale Strahlkraft in die Szene. Marketing, Branding und Wachstum – all das wird heutzutage auch in der Nachtbranche großgeschrieben. So wird der Club zunehmend wie ein Unternehmen geführt, Entscheidungen basieren auf Zielgruppenanalysen und Markenstrategien statt reinem Idealismus. Events sollen planbar erfolgreich sein, mit großen Namen, großen Gagen und hohen Erwartungen, was durchaus für Qualität sorgen kann.

Andererseits gerät genau dadurch das spontane Experimentelle und Gemeinschaftliche in Bedrängnis. Subkulturelle Freiräume, die einst jenseits kommerzieller Verwertungslogik standen, verwandeln sich in durchkonzeptionierte Erlebniskulissen. Der Übergang vom improvisierten Underground-Club zum standardisierten „Erlebnisraum“ bedeutet auch: Weniger Brüche, weniger Risiko – aber womöglich auch weniger Magie. Der Druck, Content zu produzieren und Sponsoren zufriedenzustellen, könnte langfristig dazu führen, dass eher auf Nummer sicher gegangen wird. Künstler:innen, die nicht ins Konzept passen, werden dann womöglich seltener gebucht; Nischenklänge und unkonventionelle Partykonzepte haben es schwerer, wenn der Erfolg in Klickzahlen und Ticketverkäufen gemessen wird.

Berlin befindet sich in der Zwickmühle zwischen Mythos und Markt: Die Stadt zehrt noch immer von ihrem Ruf als wildes Techno-Mekka, aber hinter den Kulissen hat längst eine Professionalisierung eingesetzt. Clubs wie Berghain, Watergate oder KitKat haben bereits bewiesen, dass man globale Marken sein kann und trotzdem einen gewissen Underground-Spirit bewahrt. Ob DSTRKT diesen Balanceakt schafft, wird zur Prüfung für das Hive-Team und die Berliner Szene gleichermaßen. Es steht sinnbildlich die Frage im Raum: Kann ein ehemals alternativer Club seine Seele behalten, wenn er zum Geschäftsmodell eines Festival-Betreibers wird?

Fazit: Aufbruch mit ungewissem Ausgang

Die Wiedereröffnung der ehemaligen Anomalie als DSTRKT markiert einen spannenden Aufbruch in der Berliner Nachtlandschaft – mit ungewissem Ausgang. Für das einst brachliegende Industrieareal bedeutet es neues Leben: Wo vorher Schließung und Leerstand drohten, pulsiert bald wieder der Bass. Die Community darf sich auf bessere Infrastruktur, internationale Acts und hochprofessionelle Shows freuen. Gleichzeitig bleibt ein wehmütiger Beigeschmack: Ein weiteres Stück Berliner Clubgeschichte verabschiedet sich, und niemand weiß genau, was vom alten Spirit übrig bleibt, wenn die Neonlichter von DSTRKT erst einmal angehen.

Fest steht: Berlin verändert sich, auch nachts. Die Übernahme des Anomalie Art Clubs durch das Hive Festival ist ein Zeichen der Zeit – ein Drahtseilakt zwischen Erneuerung und Kommerzialisierung. Vielleicht gelingt es DSTRKT, die rohe Energie vergangener Tage zu konservieren und dennoch frischen Wind hineinzutragen. Vielleicht aber werden wir in ein paar Jahren auf diesen Moment zurückblicken und feststellen, dass hier ein Kipppunkt erreicht wurde, an dem die Clubkultur ein Stück weit ihre Unschuld verlor. Bis dahin heißt es erst einmal: neugierig bleiben, tanzen gehen und dem “neuen Anfang” eine Chance geben – Berlin war immer am aufregendsten im Wandel.

Quellen: Offizielle Instagram-Statements, Berichte aus Groove, DJ Lab, Resident Advisor, Mixmag und soziale Medien groove.de, dj-lab.de, groove.de, mixmag.net.

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